Standards of Care: Die internationalen Behandlungsrichtlinien
Die internationale Gesellschaft für Transgender Gesundheit (WPATH, World Professional Association for Transgender Health, vormals Harry Benjamin Gesellschaft) formuliert weltweit anerkannte Empfehlungen für die Behandlung von Transgenders.
Nach ihrem erstmaligen Erscheinen 1979 liegt seit 2011 nun die 7. Version vor: Die "Standards of Care for the Health of Transsexual, Transgender and Gender Noncoforming People", kurz SoC 7.
Die vorhergehende Version, SoC 6 (2001) umfasste 16 Seiten. SoC 7 dagegen 112 Seiten, wobei allein 23 auf die Literaturreferenzen entfallen. Das Arbeitskomitee umfasst 34 auf diesem Gebiet profilierte WissenschafterInnen wie etwa Friedmann Pfaefflin oder Michale van Trotsenburg.
Ein respektvoller Umgang mit den Bedürfnissen der Betroffenen und bessere Informationen drängen rigide Zulassungskriterien für medizinische Behandlungen weiter zurück.
Kriterien für medizinische Behandlungen
Die Standards of Care 7 verlangen für die Zulassung zur Hormontherapie (S. 34), ebenso wie für Brustoperationen (S. 59)
- Anhaltende, gut dokumentierte Geschlechtsdysphorie
- Die Fähigkeit zu voll informierten Entscheidungen und die Einwilligung zur Behandlung
- Volljährigkeit, wobei für Jugendliche differenzierte Kriterien formuliert wurden (siehe unten)
- Erhöhte medizinische und psychische Risiken müssen entsprechend kontrolliert werden.
Hormone können auch an Personen verabreicht werden, die im Wunschgeschlecht leben und bereits Hormone nahmen. Ebenso zur Vermeidung und als Alternative zu illegalem oder unkontrolliertem Hormonkonsum.
Die Voraussetzung einer Psychotherapie oder eines drei-monatigigen Alltagstests, die in den SoC 6 noch für die Hormonfreigabe genannt wurde, ist gefallen.
Vor dem Brustaufbau wird eine 1-jährige Hormontherapie empfohlen, aber nicht mehr verlangt. Zur Entfernung der Brust bei Transmännern wird dezidiert keine Hormontherapie vorausgesetzt.
Kriterien für genitalanpassende Operationen (S. 60) sind neben den oben genannten Punkten
- eine 1-jährige Hormontherapie und
- bei Transfrauen ein Jahr vorausgehendes, kontinuierliches, identitätskonformes Leben.
Andere Operationen wie Adamsapfel- und Gesichtsknochenreduktion sowie Stimm- und Nasenkorrekturen setzen keine Empfehlung durch Psychiaterinnen oder Psychotherapeuten voraus. Aufgrund der speziellen Situation der PatientInnen und ihren Lebensumständen können sie aber als medizinisch notwendig erscheinen (S. 64).
Stellungnahmen und Gutachten
Für Hormontherapien und Brustoperationen sollte ein Empfehlungsschreiben eines qualifizierten Psy* vorliegen, für genitalanpassende Eingriffe zwei, von unabhängigen Experten verfasste Stellungnahmen. Diese Schriftstücke sollten folgende Aspekte abdecken (S. 25 ff):
- Charakteristika der Identität des Klienten
- Ergebnis der psychologischen Einschätzung, sowie alle Diagnosen
- Die Dauer der Klientenbeziehung sowie die Art der Analyse und der Therapie
- Eine Erklärung zur Erfüllung der Kriterien zur Hormontherapie/Operation und eine kurze Darstellung der klinischen Gründe für die Unterstützung des Patientenwunsches
- Eine Stellungnahme zur Einverständniserklärung des/r Klienten.
- Eine Erklärung, dass der empfehlende Experte für die Koordination der Behandlung zur Verfügung steht und dafür bereit ist Anrufe entgegenzunehmen.
Es ist interessant, dass die unverbindlichen österreichischen Behandlungsempfehlungen keinerlei Kriterien für die Formulierung der Befunde kennen.
Die Behandlung von Kindern
Das Phänomen und die Phänomenologie transidenter Kinder und Jugendlicher werden in den SoC 7 ausführlich beleuchtet. Eine hormonelle Unterdrückung der Pubertät wird bei langanhaltender Transidentität empfohlen, wenn sich die Lage mit Beginn der Pubertät verschärft hat und die Situation der Jugendlichen ansonsten weitgehend stabil ist. Gegengeschlechtliche Hormone sollten erst verabreicht werden, wenn die Jugendlichen eigenverantwortliche Entscheidungen über medizinische Behandlungen treffen können (in Österreich ab 16 Jahren). Irreversible Eingriffe wie genitalanpassende Operationen kommen nur für Volljährige, die zumindest ein Jahr im Wunschgeschlecht gelebt haben, in Betracht.
Expertenwissen?
Die Anforderungen der SoC 7 an die BehandlerInnen sind wesentlich härter und umfangreicher als jene für die Zulassung von Transgenders zur Behandlung. Universitäre Studien, Fachkompetenzen und spezifische Fortbildungen werden erwartet. Da man dennoch nicht davon ausgehen kann, dass entsprechende Fachärzte weltweit über die aktuellen Entwicklungen informiert sind, präsentieren die SoC 7 auch umfangreiche Informationen über mögliche Behandlungen und deren Risiken. Welche Hormonpräparate gibt es? Wie ist ihre Wirkung? Welche Operationsmethoden kommen in Betracht? Welche postoperative Gesundheitsuntersuchungen sind notwendig?
Die SoC 7 bieten für diese – und eine Vielzahl anderer Fragen – kompakte Antworten, die auch Laien einen guten Einblick verschaffen können. FachärztInnen werden für spezifische Fragen gerne die empfohlenen Literaturreferenzen studieren.
Relevanz für Österreich
Das Gesundheitsministerium hat 2014 neue, von einem ExpertInnenstab in jahrelanger Arbeit entwickelte neue Behandlungsrichtlinien veröffentlicht. Die Autoren bleiben unbekannt. Verglichen mit der 34-köpfigen Expertenriege von WPATH ist ihre Expertise jedenfalls schwach. Ihr Ergebnis ist dilettantisch. Es kann sich in keinem Aspekt mit den der 112 Seiten starken SoC 7 messen.
Warum will man sich gerade für Transgenders in Österreich von der Globalisierung abkoppeln?
Brauchen Österreichs Experten eine besondere Behandlung? Warum erkennen wir nicht einfach die SoC 7 an?
Beide Empfehlungen sind unverbindlich. Seriöse Therapeuten werden sich sicher lieber am SoC 7 orientieren. Die Österreichischen Richtlinien reflektieren eher politische Positionen und Eigeninteressen der Experten als den aktuellen Forschungsstand.
Links
www.wpath.org - WPATH, World Professional Association for Transgender Health
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