Empfehlungen für den Behandlungsprozess Transsexueller in Österreich

Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bedeuten in jedem Fall schwerwiegende und meist irreversible Eingriffe an einem an sich gesunden Körper. Um sicherzustellen, dass die Entscheidung, sich diesen Eingriffen unterziehen zu wollen reiflich überlegt und spürbar stimmig ist, wurden Bedingungen für medizinische Behandlungen empfohlen. Sie sollen einerseits Reuefälle verhindern und andererseits die Behandelnden gegen allfällige Vorwürfe der Körperverletzung absichern.

Ende Juli 2014 hat das Gesundheitsministerium seine davor gültigen Empfehlungen von 1997 revidiert. Im Februar 2015 erschien bereits die 4. Revision in der auch ein wenig auf die Kritik von TransX eingegangen wurde.

Aber das Gesundheitsministerium übt weiter. Nach für die Praxis wohl irrelvanten Formulierungsänderungen gelten nun die

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung", Stand: 20/06/2017,

Diese Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend. In der Präambel wird auch betont, dass ihre Einhaltung für die „Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung" irrelevant ist (S. 2). Allerdings verlangen manche Krankenkassen für Kostenübernahmen die Erfüllung der Empfehlungen.

Wesentliche Elemente sind:

Der diagnostische Prozess

zur Feststellung der Geschlechtsdysphorie bzw. der Transsexualität erfordert eine (1) psychiatrische, (2) klinisch-psychologische und (3) psychotherapeutische Diagnostik.

Die Empfehlungen verweisen auf Diagnosen nach DSM 5 und ICD 10, wobei von vorn herein klar war, dass DSM-Diagnosen, die ja auch Nicht-Binäre Identitäten inkludieren, völlig irrelevant sind, da für Leistungserbringungen und Verrechnungen im Europäischen Gesundheitssystem nur ICD-Codes verwendet werden.

Daneben wird die „Feststellung” verlangt, „dass die Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus ohne Behandlung aus heutiger Sicht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit als dauerhaft eingestuft werden kann”. Dieses Diagnosekriterium ist eine groteske österreichische Novität! Es wäre keine Diskriminierung von TG-Personen, sofern auch Therapien von Depressionen oder Lungenentzündungen nur erfolgten, wenn eine Besserung ohne Behandlung unwahrscheinlich ist.

Über die Einzeldiagnosen ist ein Konsensbeschluss der Psy*s herzustellen. Die Ergebnisse sind von der/m vom Klienten bestimmteN FallführendeN in einer Stellungnahme zusammenzufassen.

Klinisch-psychologische oder psychotherapeutische Behandlung

Basierend auf der Diagnose erstellt die/der Fallführende eine konsensuelle Indikationsstellung für medizinische, klinisch-psychologische oder psychotherapeutische Behandlung „entsprechend dem Ausmaß des individuellen Leidenszustands”. Die Therapien sollen aber auch der Prolongation des diagnostischen Prozesses dienen. Längere Therapien fallen zukünftig auch insofern an, als die Behandlung aller „koexistenter psychischer, sozialer und/oder somatischer Störungen … angezeigt” ist (Pt. 3). Dafür wurde das 50-Stunden Zwangskorsett der Empfehlungen von 1979 gesprengt.

Medizinische Behandlungen

Für Hormonbehandlungen und geschlechtsanpassenden Operationen ist jeweils

  • eine klinisch-psychologische oder eine psychotherapeutische Stellungnahme sowie
  • eine psychiatrische Untersuchung

erforderlich.

Für die Hormontherapie sind zudem „eine urologisch-gynäkologische Untersuchung und ein Risikoscreening hinsichtlich möglicher Kontraindikationen“ erforderlich. Eine zytogenetische Untersuchung kann bei Verdacht auch Intersexualität indiziert sein.

Die Stellungnahmen sind nur ein Jahr gültig (S. 2). Offensichtlich wird ihnen nicht viel Aussagekraft zugebilligt. Warum Transgenders zum rascheren Operieren gedrängt werden, ist nicht nachvollziehbar.

Parallel zur Hormontherapie „ist die klinisch-psychologische oder psychotherapeutische Behandlung nach Bedarf fortzusetzen, bei der es auch um die Begleitung der „real life experience” (Leben in der angestrebten Geschlechtsrolle) geht.”

Die Hormontherapie „erfolgt in der Regel über den Zeitraum eines Jahres” bevor genitalchirurgischen Eingriffen vorgenommen werden. Eine Entfernung der Brüste (Mastektomie) ist auch ohne Hormontherapie möglich sein.

Behandlung personenstandsrechtlicher Aspekte?

Der Exkurs der Behandlungsempfehlungen enthält auch einen Abschnitt zur Personenstandsänderung. Die Verknüpfung rechtlicher und medizinischer Maßnahmen ist geschmacklos. Eine schlichte Kompetenzüberschreitung ist, dass das Gesundheitsministerium hier den Standesämtern empfiehlt, welche Indizien für die Prüfung eines Geschlechtswechsel heranzuziehen sind und dass hiefür die Stellungnahmen von Fachärzten - also medizinische Diagnosen - vorzulegen sind. Demnach reicht die vom BMG definierte Diagnose zusammen mit der „Mitteilung, dass sich das äußere Erscheinungsbild der gewünschten Geschlechtsrolle deutlich angenähert hat.”

Auf unsere Anfrage hat das BMI im Dezember 2014 erklärt, dass für Personenstandsänderungen nur dir Kriterien des Verwaltungsgerichtshofs (2009, Zahl 2008/17/0054) relevant sind, welche die ursprünglichen Behandlungsempfehlungen von 1983 zitierten. Der inzwischen auch mehrmals geänderte Exkurs der BMG-Empfehlungen ist schlicht irreführend und falsch.

Würdigung der Empfehlungen

Die SoHo stellte fest: „Diese neuen Behandlungsempfehlungen sind ein weiterer Schritt auf dem Weg zu den von der SPÖ versprochenen Lebenserleichterungen für Transgenderpersonen”.

Wir halten diese wohl z.T. von einer anonymen, „interdisziplinären Expertinnen- und Expertengruppe unter Einbindung des (…) Innenministeriums“ erarbeiteten Österreichischen Empfehlungen für entbehrlich. Schließlich gibt es die international anerkannten „Standards of Care for the Health of Transsexual, Transgender and Gender Noncoforming People” der WPATH (World Professional Association for Transgender Health), an denen sich Fachärzte besser orientieren können. Diese Behandlungsrichtlinien sind informativer und differenzierter als die Österreichischen Empfehlungen und bieten auch Orientierung für die Behandlung Minderjähriger – ein Vorhaben, das unsere Experten zurückgestellt haben.

TransX hat das Ministerium gebeten die österreichischen Empfehlungen zurückzuziehen. Unsere Kritik wurde leider nur zum Teil berücksichtigt ( mehr dazu).

Die Empfehlungen bleiben angesichts des Vorliegens internationaler Empfehlungen eine provinzielle Groteske.

Empfehlungen zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen

Im Dezember 2017 hat das Frauen- und Gesundheitsministerium seine „Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorien von Kindern und Jugendlichen (…)” veröffentlicht. Demnach sind bei Minderjährigen Psychotherapie und multiprofessionelle Diagnose für körperliche Interventionen zwingende erforderlich. Eine Konferenz aller involvierten Fachkräfte wie Jugendpsychiater und Psychotherapeuten hat mit den Betroffenen und den Obsorgeberechtigten über alle Behandlungsschritte zu entscheiden.

Vollständig reversible Maßnahmen, wie pubertätsbremsende Therapien sind ab Tanner-Stadium 2 möglich. Hormone des Wunschgeschlechts können Jugendliche mit Zustimmung der Eltern i.d.R. ab dem 16. Lebensjahr bekommen. Genitalanpassende Operationen bleiben Volljährigen vorbehalten. Mastektomien sind nach einjähriger Hormonbehandlung schon davor möglich.

Namens- und Personenstandsänderungen sind mit Zustimmung der Obsorgeberechtigten bereits für Kinder möglich. Die dafür angeblich notwendigen, aus den BMGF-Leitlinien für Erwachsene kopierten, dubiosen Diagnosen sowie die gewünschte Zustimmung des Behandlungsteams entsprechen weder der Österreichischen Rechtsordnung noch der Verwaltungspraxis. Wie bei Erwachsenen sollte eine Psy*-Bestätigung der Stabilität der Geschlechtsidentität aber wohl vorliegen.

Downloads & Links

Kommentierte Veröffentlichung der Verfehlungen für den Behandlungsprozess für Erwachsene und Kinder auf der Homepage des Gesundheitsministeriums

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie von Kindern und Jugendlichen nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM - bzw. ICD - Fassung", Stand: 14/12/2017

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung", Stand: 20/06/2017 (5. Revision, Juni 2017)

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung", Stand: 13/02/2015 (4. Revision, Februar 2015)

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung", Stand: 14/10/2014 (3. Revision, Oktober 2014)

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung", Stand: 01/10/2014 (2. Revision, Oktober 2014)

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung", Stand: 20/08/2014 (1. Revision, August 2014)

"Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung" (1. Fassung, Juli 2014)

Schematische Darstellung der "Empfehlungen für den Behandlungsprozess bei Geschlechtsdysphorie bzw. Transsexualismus nach der Klassifikation in der derzeit gültigen DSM bzw. ICD-Fassung"

Standards of Care for the Health of Transsexual, Transgender and Gender Noncoforming People
WPATH, World Professional Association for Transgender Health

Zuletzt gültige Österreichische Behandlungsempfehlungen von 1979
und die TransX - Positionen hiezu

 

 

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